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Erläuterungen zu Artikel 64 Kirchenordnung
Leitungsfeld 9 Recht und Organisation (Dr. Conring/Berg/Huget)
Stand: 01.07.2022
#####Absatz 1 – Einberufung
Satz 1 stellt ein Regelverhalten dar. Das heißt, dass die Sitzungen des Presbyteriums einmal im Monat stattfinden sollen. Die vorgegebene Sitzungsfrequenz führt zu einer kalkulierbaren zeitlichen Belastung für die Mitglieder des Presbyteriums. Die Formulierung im Satz 1 lässt begründete Ausnahmen zu, z. B. eine Sitzung in den Sommerschulferien ausfallen zu lassen oder zu einer weiteren Sitzung in der Monatsfrist zusammen zu kommen, wenn aktuelle Ereignisse dies erforderlich machen.
Satz 2 lässt außerplanmäige Sitzungen zu, wenn ein Drittel der Presbyteriumsmitglieder, die Superintendentin oder der Superintendent, der Kreissynodalvorstand oder das Landeskirchenamt es verlangen.
#Absatz 2 – Beschlussfähigkeit
Die Webseite https://www.gemeinde-bewegen.de/ (Wissensspeicher für die Arbeit im Presbyterium) bietet wichtige Informationen, wie die Leitungsarbeit in der Evangelischen Kirche gestaltet werden kann. Sie löst das vorher regelmäßig als Printwerk erschienene „Gemeinde leiten – Handbuch für die Arbeit im Presbyterium (2016)“ ab. Die nachfolgenden Ausführungen sind auf Grundlage (teilweise auch in Auszügen) des Inhaltes „Gemeinde bewegen – B Gemeindeleitung – 3 Beschlussfassung im Presbyterium“ entstanden.
Ein Presbyterium ist beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seines verfassungsmäßigen Mitgliederbestandes anwesend ist. Es kommt also hier darauf an, wie viele Stellen das Presbyterium überhaupt hat, wobei die Zahl der Pfarrstellen die Gruppe der Mitglieder von Amts wegen (Pfarrerinnen und Pfarrer) ausmacht und die Zahl der Presbyterstellen die Gruppe der gewählten Mitglieder (Presbyterinnen und Presbyter) umfasst (Artikel 58 Absatz 3 KO).
Es kommt für die Berechnung der Beschlussfähigkeit also nicht darauf an, ob alle Stellen auch besetzt sind. Wenn beispielsweise eine von drei Pfarrstellen aktuell nicht besetzt ist, ändert sich die für die Beschlussfähigkeit festzustellende Anwesenheitszahl nicht. Wenn im beispielsweise 3 Pfarrstellen und 12 Presbyterstellen zusammen den verfassungsmäßigen Bestand von 15 Stellen ergeben, dann ist das Presbyterium immer erst bei 8 Anwesenden beschlussfähig. Auch wenn tatsächlich nur zwei Pfarrerinnen oder Pfarrer anwesend sein können, weil die dritte Stelle vakant ist, es also aktuell nur 14 Mitglieder des Presbyteriums gibt, wird die Beschlussfähigkeit nach der Stellenzahl berechnet, und von den 14 Personen müssen 8 anwesend sein.
Der durch das 73. Kirchengesetzes zur Änderung der Kirchenordnung neu eingefügte Satz 3 erlaubt es, nicht mehr ausschließlich in Präsenzform zu tagen, sondern die Sitzungen auch als Telefon- oder Videokonferenz oder in einer Kombination durchzuführen. Dadurch wurde der Regelungsgehalt des früheren Pandemie-Gesetzes für Presbyterien nun dauerhaft in die Kirchenordnung übernommen.
Die Präsenzformen der leiblichen Anwesenheit, der Videokonferenz und der Telefonkonferenz sind kombinierbar und sollen nach den örtlichen Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst weitgehenden Beteiligung genutzt werden. Wichtig ist, dass die Sitzungen weiterhin nicht öffentlich sind, alle Beteiligten deshalb ihre akustische und optische Teilnahme persönlich und ohne Dritte gestalten.
Beschlüsse, die in Video-/Telefon-Konferenzen gefasst und protokolliert werden, gelten, als ob es eine Sitzung mit physischer Präsenz gewesen wäre. Die Beschlüsse gelten dann direkt, genau wie in einer Sitzung mit physischer Anwesenheit.
Für die Arbeit des Gemeindebeirats wird eine gleichlautende Änderung der Richtlinien für die Zusammensetzung, die Aufgaben und die Arbeitsweise des Gemeindebeirats vorbereitet und der Kirchenleitung voraussichtlich im Jahr 2022 zur Beratung vorgelegt.
#Absatz 3 – Einladung
Es ist nach Satz 2 keine Frist vorgegeben, bis zu welchem Termin die Einladung spätestens zu erfolgen hat. Der Begriff der „örtlichen Verhältnisse“ lässt sich variabel auslegen, eine Mindestfrist von mehreren Tagen sollte jedoch zu Grunde gelegt werden. Bei Satz 2 handelt es sich um eine Soll-Bestimmung, sodass bei Vorliegen besonderer Gründe von der Regelfrist in der Form abgewichen werden kann, als das diese Frist angemessen verkürzt wird. Die Verkürzung der Einladungsfrist darf nicht zum Regelfall werden. Die Bestimmung ist so auszulegen, dass sie nur ausnahmsweise zur Anwendung kommt.
Bei Kirchenwahlen kann das noch amtierende Presbyterium den Termin der nächsten Sitzung festlegen. Sollte dieser Termin in unmittelbarer Nähe zum Einführungstermin der neugewählten Mitglieder des Presbyteriums liegen, erscheint es sinnvoll, die Einladung in diesem Fall auch an die Neugewählten zu versenden.
Mit dem 73. Kirchengesetz zur Änderung der Kirchenordnung wurde Satz 1 in der Form erweitert, dass auch Einladungen per E-Mail zulässig sind.
Die Kirchenordnung sieht vor, dass die „Hauptgegenstände der Verhandlung anzugeben“ sind. Das dient dazu, dass eine möglichst konkrete Vorbereitung zur Sache verfolgen kann. Günstigstenfalls liegen der Einladung bereits Beschlussvorschläge mit Vorlagen bei.
Grundsätzlich ist eine Veränderung der Tagesordnung auch innerhalb der Sitzung möglich. Typischerweise wird dies bei dringenden und neuen Fragestellungen der Fall sein. Selbstverständlich gibt es auch eine missbräuchliche „Anwendung“, beispielsweise dann, wenn vorsätzlich eine harmlose Tagesordnung verschickt wird, um dann die brisanten Themen nachzuschieben und so einen Überraschungseffekt zu nutzen. Dies zu verhindern liegt in der politischen Kultur des Presbyteriums. Die Veränderung der Tagesordnung bedarf eines regulären Beschlusses des Presbyteriums und kann so verhindert oder gewollt werden.
Absatz 4
Absatz 4 beschreibt eine Ausnahme zur Regel der Einladungsfrist, wie sie im Absatz 3 Satz 2 beschrieben ist. Es geht hier also um den Fall, dass ein Verhandlungsgegenstand nicht bis zur nächsten turnusmäßigen oder zur nächsten fristgerecht eingeladenen Sitzung (vgl. Absatz 1 KO) warten kann. Es handelt sich hier um eine Eilfallregelung.
Dringlichkeit liegt deshalb nur dann vor, wenn die Beratung oder Beschlussfassung im Presbyterium zwingend termingebunden ist, und deshalb die Einhaltung der regulären Fristen nicht möglich ist. Beispiel: Das Presbyterium erhält einen Bescheid, dessen Anfechtungsfrist vor dem nächsten Sitzungstermin abläuft und die oder der Vorsitzende möchte zur Einlegung des Widerspruchs wegen der damit verbundenen Haushaltsbelastung einen Presbyteriumsbeschluss herbeiführen.
Dringlichkeit liegt nicht schon deshalb vor, weil ein Verhandlungsgegenstand von der Sache her wichtig ist. Dringlichkeit liegt auch nicht schon deshalb vor, weil die zur Beratung anstehenden Themen in den regulären monatlichen Sitzungen wegen Zeitmangels nicht sachgerecht behandelt werden können. In solchen Fällen wäre zu überlegen, ob die erforderlich Mehrzeit durch Verlängerung der regelmäßigen Sitzungsdauer oder durch Steigerung der regelmäßigen Sitzungsfrequenz erreicht werden kann.
Die Funktion der Einladungsfrist im Blick auf Beschlussfähigkeit und Festlegung der Tagesordnung wird durch Satz 2 erkennbar. Bei objektiv vorliegender Dringlichkeit soll eine Entscheidung des Presbyteriums ausnahmsweise möglich sein. Die Kirchenordnung setzt dafür allerdings voraus, dass über die für die Beschlussfähigkeit regulär erforderliche Anwesenheit von mehr als der Hälfte der verfassungsmäßigen Mitglieder (vgl. Artikel 58 KO), diese sich zusätzlich mit der Fristlosigkeit der Einladung einverstanden erklären. Diese besondere Einverständniserklärung, die im Protokoll festgehalten wird, hat eine Warnfunktion. Sie macht noch einmal auf die Ausnahmesituation aufmerksam, dass hier eventuell die Teilnahme an der Sitzung gerade wegen der Fristlosigkeit nicht allen Mitgliedern möglich war.
Die Kirchenordnung kennt auch an anderer Stelle eine Eilfall-Regelung für die Arbeit des Presbyteriums. Nach Artikel 71 Absatz 3 KO kann die oder der Vorsitzende in eiligen Fällen, in denen die Einberufung des Presbyteriums nicht möglich ist oder mit Rücksicht auf die geringe Bedeutung der Sache nicht gerechtfertigt erscheint, möglichst im Einvernehmen mit der Kirchmeisterin oder dem Kirchmeister, einstweilen das Erforderliche anordnen. Die Anordnung bedarf der Genehmigung durch das Presbyterium in der nächsten Sitzung.
#Historie – Arbeitsweise von Presbyterien 2020 während der Corona-Pandemie
Durch die Verbindliche Verabredung „praktischer Konsens“ zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit kirchenleitender Organe im Jahr 2020 vom 8. April 2020, die befristet für den Zeitraum vom 15.04.2020 bis 31. Dezember 2020 galt, wurde zur Beschlussfähigkeit im Wege der Auslegung ausgeführt, dass das Presbyterium ausnahmsweise auch dann beschlussfähig ist, wenn sich die Mitglieder zur Telefonkonferenz oder zur Videokonferenz zusammenfinden. Die Art der Zusammenkunft ist im Protokollbuch zu vermerken. Die besonderen Regelungen des Pandemiegesetzes zum Verfahren bei Abstimmungen und Wahlen finden sich in den Erläuterungen zu Artikel 66, 99, 109, 136, 149 Kirchenordnung.
Die Regelungen des praktischen Konsenses wurden in das Gesetz zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit der kirchlichen Leitungsorgane während der COVID-19-Pandemie (Pandemie-Gesetz) vom 19. November 2020 übernommen (siehe § 2). Das Pandemie-Gesetz galt zunächst befristet bis zum 30. Juni 2021. Durch das Erste Kirchengesetz zur Änderung des Kirchengesetzes zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit der kirchlichen Leitungsorgane während der COVID-19-Pandemie vom 1. Juni 2021 wurde die Befristung bis zum 31. Dezember 2021 verlängert, da die Situation um das Corona-Virus weiter anhält und die Handlungsfähigkeit der Leitungsorgane weiterhin Ausnahmebedingungen erfordert. Daher erschien es notwendig und sinnvoll, die Gültigkeit der Regelungen des Pandemie-Gesetzes befristet zu verlängern.
Die Landessynode hatte im November 2021 eine weitere Verlängerung des Pandemie-Gesetzes bis zum 30. Juni 2022 beschlossen (Zweites Kirchengesetz zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit der kirchlichen Leitungsorgane während der COVID-19-Pandemie vom 13. November 2021). Im Anschluss daran wurde auf Grund der sehr positiven Erfahrungen mit den flexiblen Arbeitsmöglichkeiten, die das Pandemie-Gesetz für die kirchlichen Leitungsgremien zugelassen hatte, eine Änderung der Kirchenordnung vorgenommen, die die Regelungen des Pandemie-Gesetzes dauerhaft übernommen hat. Dies ist in Form des 73. Kirchengesetzes zur Änderung der Kirchenordnung umgesetzt worden.
Folgende Dokumente stehen zur Verfügung:
Allgemeine Erläuterungen zur Kirchenordnung– Dokumentenübersicht – Gesetzgebungsverfahren
Die allgemeinen Erläuterungen finden Sie hier oder bei dem aufgerufenen Dokument auf der Webseite bei den Icons unter „E“.
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