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Kirchengericht: | Disziplinarkammer der Evangelischen Kirche von Westfalen |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 20.07.1994 |
Aktenzeichen: | DK 1/93 |
Rechtsgrundlage: | Art. 5 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 PfDG |
Vorinstanzen: | keine |
Schlagworte: | Disziplinarrecht, Amtspflichtverletzung, Warnung, Verweis, Äußerungen (öffentliche) |
Leitsatz:
Öffentliche Äußerungen eines Pfarrers in Form von kritischen Aussagen und Erklärungen können im Einzelfall mit den bestehenden Amtspflichten unvereinbar sein und disziplinarrechtlich geahndet werden.
Tenor:
Die angefochtene Disziplinarverfügung wird geändert.
Gegen den Beschuldigten wird wegen einer Amtspflichtverletzung eine Warnung ausgesprochen. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Im vorliegenden Verfahren entstandene Kosten trägt der Beschuldigte zur Hälfte. Notwendige Auslagen des Beschuldigten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Das Landeskirchenamt hat gegen den Beschuldigten durch die angefochtene Disziplinarverfügung vom 23. Juni 1993 wegen Amtspflichtverletzung einen Verweis ausgesprochen. Es hat sich darauf gestützt, dass der Beschuldigte,
- in einem Leserbrief an die "Neue Westfälische", der am 12./13. Mai 1993 veröffentlicht worden ist, gegenüber der Öffentlichkeit u. a. folgendes behauptet hat:
- die Lokalredaktion tischte ihren Lesern "Halbwahrheiten aus dem Kirchenkreis" ungeprüft auf,
- man habe auf der Synode 1992 "verschwiegen", dass es ohne die kreiskirchlichen Dienste in den Räumen der Verwaltung ausreichend Platz für diese gäbe,
- die kreiskirchlichen Dienste seien der Synode nach und nach "abgemogelt" worden,
- ein ehemaliger Religionsschulpfarrer habe im vorgerückten Alter den beschwerlichen Dienst an der Berufsschule quittiert und sei dann in die gemächliche Kreispfarrstelle übergewechselt,
- "Proka" – Projekt kommunaler Arbeitsmarkt – sei sein Renommier-, das Arbeitslosenzentrum sein Imponierprojekt,
- politisch-religiöser Filz sei immer teuer für die einen und billig für die anderen,
- es sei nicht schwer vorherzusagen, dass die Leichtmatrosen am Kirchensteuer den Herforder Kirchenkahn demnächst auf die monetäre Sandbank setzen würden,
- der Redaktion des "Herforder Kreisblattes" folgende Aussagen gemacht hat, die diese in einem Artikel mit der Überschrift "Kirche kann mit Geld nicht umgehen" am 12. Mai 1993 veröffentlicht hat:
- das von Pfarrer K.-D. K. geführte Sozialpfarramt und der Dienst an Arbeitslosen seien das "Sozialimperium eines Multifunktionärs" und
- "Der Götze Mammon, vor dem Jesus gewarnt hat, ist nach dem Credo der Bielefelder Kirchenleitung innerhalb und außerhalb der Kirche der eine, heilige, allgemeine Problemlöser. Die Kirche hat zuviel Geld und kann damit nicht umgehen."
Zur Begründung hat das Landeskirchenamt ausgeführt, der Beschuldigte habe mit diesen für die Öffentlichkeit bestimmten Äußerungen jedenfalls insoweit schwerwiegend gegen seine Amtspflichten i. S. v. § 1 des Pfarrerdienstgesetzes verstoßen, als er sich in grob diffamierender und ehrverletzender Weise über einen Amtsbruder sowie über Leitungsorgane des Kirchenkreises und der Landeskirche geäußert habe.
Der Beschuldigte hat gegen die Disziplinarverfügung Beschwerde eingelegt, der das Landeskirchenamt nicht abgeholfen hat.
Der Beschuldigte macht im wesentlichen geltend, sich mit seinen Äußerungen im Rahmen einer – auch durch Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten – zulässigen Kritik gehalten zu haben. Das Landeskirchenamt tritt dem entgegen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg und wird im übrigen zurückgewiesen.
Zunächst ist nicht zu beanstanden, dass das Landeskirchenamt die Disziplinarverfügung auf die Verletzung einer Amtspflicht nach § 1 Pfarrerdienstgesetz (PfDG) gestützt hat. Anders als z. B. die Beamtengesetze (vgl. §§ 57 Satz 3, 83 Abs. 1 Satz 2 LBG NW) enthält das Pfarrerdienstgesetz zwar keine ausdrückliche allgemeine Wohlverhaltenspflicht ebenso wenig ist eine solche ausdrücklich in den in § 1 Abs. 1 PfDG angesprochenen Artikeln der Kirchenordnung (KO) über das Amt des Pfarrers (Art. 18 ff. KO) oder in dem Vorspruch zum Disziplinargesetz ausdrücklich enthalten. Dessen bedarf es aber auch nicht. Denn es ist immanenter Inhalt des in § 1 Abs. 1 PfDG erwähnten Amtes, dass der Amtsträger nicht nur im Rahmen der Verkündigung und Seelsorge, sondern auch bei seinem sonstigen öffentlichen Auftreten sich Äußerungen zu enthalten hat, die besonders geeignet sind, Achtung und Vertrauen in einer für sein Amt oder das Ansehen der Kirche bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Es ist im Bereich der Disziplinar – oder sonstigen Berufsgerichtsbarkeit (z. B. der Ärzte, Architekten usw.) nicht ungewöhnlich, sondern eher die Regel, dass die einzelnen Amtspflichten nicht sämtlich tatbestandsmäßig ausformuliert, sondern – wie vorstehend – generalklauselartig zusammengefasst sind.
Mit dieser Feststellung über bestehende Amtspflichten bei öffentlichen Äußerungen eines Pfarrers sind kritische Aussagen und Erklärungen – auch gegenüber oder in Bezug auf die Kirchenleitung – nicht ausgeschlossen. Eine lebendige Kirche ist auf Auseinandersetzungen, Meinungskampf und kritisches Engagement – auch im Bereich der Amtsträger und unter diesen – angewiesen. Auch tritt die Kirchenleitung dem Pfarrer häufig in ihrer Funktion als Behörde gegenüber, so dass schon aus dieser Stellung Möglichkeiten für Konflikte angelegt sind, die auch mit deutlichen Worten ausgetragen werden dürfen. Ob der Beschuldigte sich allerdings grundsätzlich auf die unbeschränkte Anwendbarkeit des Rechts auf freie Meinungsäußerung in Art. 5 Abs.1 GG berufen kann, scheint schon deswegen zweifelhaft, weil gerade bei sog. Tendenzbetrieben, wie es u.a. kirchliche Arbeitgeber sind, weitgehende Bindungen der Meinungsäußerungsfreiheit für öffentliche Äußerungen bestehen (vgl. Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Okt. 1993, Art. 5 Abs. 1 und 2, RdNr. 236, Bearbeiter: Degenhardt; BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1985 -2 BVR 1703/83 u.a. –, NJW 1986, 367, 369).
Sinnvoller ist, an dem Amt des Beschuldigten und den damit verbundenen Pflichten im einzelnen zu prüfen, ob die konkreten angeschuldigten Äußerungen nach Inhalt und Form mit dem Amt und den Pflichten vereinbar sind.
Dabei gelangt die Disziplinarkammer zu folgendem Ergebnis: Die Aussage 1a) ("die Lokalredaktion") enthält keinen Vorwurf gegen die Kirche, Kirchenleitung oder Personen der Kirche, allenfalls gegen die Lokalredaktion. Eine solche Äußerung ist im Rahmen eines Leserbriefes an diese Redaktion mit dem Amt eines Pfarrers ohne weiteres zulässig. Der Satz 1f) ("Politisch-religiöser Filz") hat keinen für die Kirche erkennbar nachteiligen Inhalt; er ist disziplinarrechtlich nicht relevant. Der überwiegende Teil der Äußerungen, die sich mit den kirchlichen Strukturen und dem Finanzgebaren der Kirche, insbesondere im Zusammenhang mit den kreiskirchlichen Diensten befasst, ist eine mit dem Amt eines Gemeindepfarrers vereinbare zulässige Kritik. Weder die angesprochene Öffentlichkeit noch die Kirchenöffentlichkeit ziehen ernsthaft in Zweifel, dass man in diesen Fragen sehr unterschiedlicher Meinung sein kann. Das Amt eines Gemeindepfarrers oder das Ansehen des Amtsträgers oder der Kirche erleidet keinen Schaden dadurch, dass der Amtsträger sich in diesem Bereich engagiert öffentlich entgegen den Vorstellungen der Kirchenleitung äußert. Dies gilt auch dann, wenn seine Kritik inhaltlich nicht zutreffen sollte. Auch ist ihm unbenommen, seine Kritik mit möglicherweise überspitzten, griffigen, aber auch saloppen Formulierungen auszudrücken und anzureichern. Diese Ausführungen insgesamt betreffen die Aussagen 1b) ("auf der Synode 1992, verschwiegen"), 1c) ("die kreiskirchlichen Dienste seien …, abgemogelt worden"), 1e) ("Proka"), 2a) ("Sozialimperium eines Multifunktionärs") und – mit einigen Bedenken wegen der leicht abwertend verstehbaren "Leichtmatrosen" – 1g).
Als nicht hinnehmbar sieht die Disziplinarkammer dagegen die Äußerungen 1d) ("ein ehemaliger Religionsschulpfarrer") und 2b) ("Der Götze Mammon") an. Es ist mit den Amtspflichten eines Pfarrers, insbesondere mit der vom Amtsträger erwarteten Haltung gegenüber seinen Mitmenschen – auch zum Amtsbruder – nicht vereinbar, dass in 1d) ein anderer Pfarrer in kaum verhüllter Form des bequemlichen Berufsausübung geziehen und damit öffentlich herabgesetzt wird. Noch gravierender ist die in 2b) enthaltene Herabwürdigung der Kirchenleitung. Entkleidet des vom Beschuldigten gewählten Wortgewandes hält dieser der Kirchenleitung vor, sie sehe nach ihrer Überzeugung im Geld den alleinigen Löser der innerhalb und außerhalb der Kirche bestehenden Probleme. Ein solches Verhalten der Kirchenleitung, die ihr obliegenden Probleme – bar jeder geistlichen, theologischen und ideellen Maßstäbe und Richtwerte – allein auf Geld bauend und vertrauend anzugehen, stünde in massivem Widerspruch zu ihren Aufgaben und Pflichten. Ein solcher Vorwurf massiven und grundlegenden Versagens an die Kirchenleitung, der zudem als öffentliche Äußerung eines Pfarrers noch geschmackloserweise sprachlich Worten des Glaubensbekenntnisses angenähert ist, ist durch keinen erkennbaren Anhaltspunkt gerechtfertigt und bedeutet für die Kirchenleitung eine grobe öffentliche Herabwürdigung.
Der Beschuldigte hat sich im Verfahren mehrfach dahin eingelassen, dass er nicht beabsichtigt habe, andere zu verletzen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Das kann ihn jedoch nicht entlasten. Der Disziplinarkammer fällt es schon schwer, dem Beschuldigten diese Einlassung abzunehmen. Deutlich ist aus dem Leserbrief und dem weitern Artikel erkennbar, welche großen sprachlichen Möglichkeiten dem Beschuldigten zur Verfügung stehen. Es ist kaum anzunehmen, dass er nicht auch weiß, was er mit seiner Äußerungen anrichten kann. Gegebenenfalls wären die aufrechterhaltenen Vorwürfe disziplinarrechtlich auch relevant, wenn der Beschuldigte sich nur fahrlässig verhalten hätte.
Angesichts des deutlich eingeschränkten Umfangs der noch aufrechterhaltenen Vorwürfe hält die Disziplinarkammer als disziplinare Reaktion eine Warnung als erforderlich, aber auch ausreichend, um den Beschuldigten an die Wahrnehmung der Amtspflichten eines Pfarrers zu erinnern.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 114 Abs. 1 Satz 1, 117 Abs. 1 Abs. 2 Satz 1 DiszG in entsprechender Anwendung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 17 Abs. 3 Satz 4 DiszG).